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Neue Studie! Zweite Runde von Fairwork-Ratings in der deutschen Plattformökonomie

Posted on 01.03.2022
Fairwork Germany blog

Fairwork hat eine zweite Runde von Fairnessbewertungen für die deutsche Plattformökonomie veröffentlicht. Der Bericht bietet einen aktualisierten Blick auf die bekanntesten Plattformen des Landes im Kontext der COVID-19-Pandemie und bewertet sie anhand der fünf Prinzipien für faire Arbeit: Faire Bezahlung, faire Arbeitsbedingungen, faire Verträge, faire Management-Prozesse und faire Mitbestimmung.

Das Jahr 2021 brachte viele Veränderungen mit sich, die die deutsche Plattformökonomie auf neue Weise geprägt haben – einige im Zusammenhang mit der anhaltenden Pandemie, andere als Ergebnis von Arbeitskonflikten.

Der größte Wandel fand im Bereich Essens- und Lebensmittellieferung statt, wo neue Plattformen auf den Markt kamen (Gorillas, Flink, Getir und Wolt) und um Kund*innen und Geschäfte und Restaurants konkurrierten. Das Aufkommen dieser Unternehmen brachte neue Chancen und Herausforderungen für die Plattformarbeiter*innen mit sich. Im Jahr 2021 ist auch eine neue Welle von Arbeitskonflikten in der deutschen Plattformökonomie entfacht. Besondere Aufmerksamkeit erlangten dabei die Proteste von Gorillas-Beschäftigten, denen es nach einer fast einjährigen Auseinandersetzung gelang, einen Betriebsrat zu gründen.

Neben den Lieferdiensten waren auch der deutsche Personentransport-Sektor und die Veranstaltungsplanung von der Pandemie betroffen. Da die Aktivitäten auf den Plattformen teilweise zum Erliegen kamen, waren die Arbeiter*innen in diesen Bereichen von Verdienstausfällen betroffen – oft ohne Zugang zu Kurzarbeitergeld oder anderen Arten von Entschädigung. Unsere Studie zeigt, dass Fahrdienstplattformen wie Uber und FreeNow Einkommensverluste während der Schließungen in der Regel nicht kompensierten, und stattdessen von ihren Beschäftigten erwarteten, dass sie staatliche Hilfen in Anspruch nahmen. Andere Plattformen (Clevershuttle und BerlKönig), die ihren Arbeiter*innen ein soziales Sicherheitsnetz boten, verkürzten ihre Arbeitszeiten (Kurzarbeit) und änderten ihre Geschäftsmodelle, um rentabel zu bleiben.

Aber nicht alles ist schlecht. Die Ergebnisse von Fairwork zeigen, dass einige deutsche Plattformen im letzten Jahr bewusste Anstrengungen unternommen haben, um faire Arbeitspraktiken zu verbessern und/oder aufrechtzuerhalten, teilweise dank ihres Austauschs mit Fairwork. Eine wachsende Zahl von Plattformen war bereit, mit Fairwork zu kommunizieren, um ihre Bewertungen zu verbessern. Mehrere Plattformen, wie Wolt und Flink, setzen Änderungen um, wie z. B. den Einsatz von externen Prüfern zur Überwachung der Arbeitsbedingungen. Lieferando und Flink beschäftigen Arbeter*innen mit unbefristeten Verträgen und Zenjob führte ausdrückliche Antidiskriminierungs- und Diversitätsklauseln in seinen Geschäftsbedingungen ein.

Ähnlich wie die Ergebnisse des letztjährigen Berichts hebt die Fairwork-Studie 2021/22 eine große Vielfalt an Arbeitsstandards in der deutschen Plattformökonomie hervor und zeigt, dass die Arbeitsbedingungen bei weitem nicht homogen sind, sondern sich von Plattform zu Plattform erheblich unterscheiden. Während einige Plattformen Maßnahmen ergriffen haben, um ihren Arbeiter*innen mehr und bessere Rechte zu garantieren, gibt es insgesamt viele zusätzliche Schritte, die Plattformen unternehmen müssen, um menschenwürdige Arbeitsstandards zu erfüllen.

Bewertungen

Fairwork bewertet digitale Arbeitsplattformen anhand von fünf Prinzipien für “faire Arbeit” – faire Bezahlung, faire Arbeitsbedingungen, faire Verträge, faire Management-Prozesse und faire Mitbestimmung. Ob die Plattformen diese fünf Prinzipien einhalten, wurde anhand von Recherchen, Interviews mit Arbeiter*innen und von den Plattformen zur Verfügung gestellten Nachweisen ermittelt. Die Nachweise wurden dann verwendet, um jeder Plattform eine Fairwork-Punktzahl im Spektrum von null bis zehn zuzuweisen.

Das Fairwork Deutschland 2021/22 Rating bewertet die Arbeitsbedingungen bei 12 digitalen Plattformen (Zenjob, Wolt, Lieferando, Flink, Careship, Getir, Amazon Flex, Betreut.de, Helpling, Gorillas, FreeNow und Uber). Jede Plattform erhält eine Fairness-Bewertung von 10 Punkten, wobei ein Basis- und ein Zusatzpunkt pro Prinzip nur dann vergeben werden, wenn es klare Beweise dafür gibt, dass das Prinzip erfüllt wird.

Zenjob führt die Tabelle mit 9 Punkten an, Wolt und Lieferando folgen mit 7, Flink und Careship haben jeweils 6 Punkte, Getir erreicht 5, Amazon Flex liegt bei 3, Betreut.de, Helpling und Gorillas bei 2 und FreeNow und Uber haben 1 Punkt.

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Faire Bezahlung: Die meisten Plattformen in Deutschland zahlen ihren Arbeiter*innen Löhne, die über dem Mindeststundenlohn (9,60 €) liegen, nach Abzug der Kosten. Einige Plattformen (Betreut.de, Helpling, FreeNow und Uber), die Arbeiter*innen als Selbstständige, unabhängige Auftragnehmer oder Subunternehmer beschäftigen, konnten jedoch nicht nachweisen, dass sie die Mindestlohngrenze einhalten. Nur zwei Plattformen (Careship und Zenjob) konnten nachweisen, dass sie einen existenzsichernden Lohn bieten. Lieferando und Wolt kamen dem existenzsichernden Stundenlohn (14,50 €/Stunde) nahe, allerdings nur unter Berücksichtigung von Liefer- und Kilometergeld-Zuschlägen.
  • Faire Arbeitsbedingungen: Bei den Plattformen für die Zustellung von Lebensmitteln ist die Instandhaltung der Lagerhäuser nach wie vor ein Problem, da einige Lagerhäuser grundlegende Sicherheits- und Hygienestandards nicht erfüllen. Die den Arbeitner*innen zur Verfügung gestellte Ausrüstung (z. B. Fahrräder, wetterfeste Jacken, Hosen und Schuhe) war nachweislich entweder von mangelhafter Qualität oder wurde den Arbeiter*innen nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt. Vielversprechend ist, dass sowohl Wolt als auch Flink externe Prüfer eingesetzt haben, um die Arbeitsplatzbedingungen zu überwachen. Einige Plattformen, darunter auch Plattformen in den Bereichen Hausarbeit (Helpling, Betreut.de) und Pflege (Careship), stellten ihren Arbeiter*innen keine persönliche Schutzausrüstung  zur Verfügung und erwarteten, dass die Arbeiter*innen die Kosten für Mund-Nasen-Schutz, Desinfektionsmittel und COVID-Tests aus eigener Tasche bezahlen.
  • Faire Verträge: Plattformarbeiter*innen erhalten umfassende Verträge, die in der Regel in deutscher und englischer Sprache angeboten werden. Auch der Datenschutz unterliegt einer vergleichsweise strengen Regulierung. Vielversprechend ist, dass sich die Vertragslage verbessert hat und mehr Arbeitnehmer*innen unbefristete Verträge angeboten werden. Lieferando hat damit begonnen, Arbeiter*innen unbefristet einzustellen, und andere Plattformen wie Flink sind diesem Beispiel gefolgt. Andere Plattformen haben jedoch an der Vertragsfront versagt: FreeNow und Uber setzen auf ein Geschäftsmodell mit Subunternehmen, das zu eingeschränkten Kontrollen von Verträgen führ., Gorillas kündigen Verträge auf unfaire Weise und Verträge bei Amazon Flex beinhalten Haftungsklauseln, die den Arbeiter*innen schaden und zu unfairen Bewertungen und Ungleichheiten bei der Bezahlung und den Arbeitsbedingungen führen.
  • Faire Management-Prozesse: Die meisten Plattformen haben menschliche Ansprechpartner*innen, die sich um Fragen der Arbeiter*innen kümmern. Die Wirksamkeit dieser Kommunikationskanäle ist jedoch zum Teil fraglich, da viele Unternehmen es nicht schaffen, den Arbeiter*innen rechtzeitig eine angemessene Antwort zu geben. Bei Plattformen, auf denen Arbeiter*innen als Selbstständige oder über Subunternehmer arbeiten, sind die Arbeiter*innen gezwungen, Probleme allein oder direkt mit den Kunden zu lösen. Trotz des hohen Anteils von Migrant*innen und weiblichen Arbeitskräften in der deutschen Plattformökonomie haben nur drei Plattformen (Lieferando, Wolt und Zenjob) Maßnahmen zur Förderung von Antidiskriminierung am Arbeitsplatz oder zur Bekämpfung von diskriminierendem Verhalten von Kund*innen und Auftraggeber*innen nachgewiesen.
  • Faire Mitbestimmung: Der Aktivismus der Arbeiter*innen hat in diesem Jahr zugenommen, was zur Bildung neuer Arbeitnehmervertretungen geführt hat. Einige Plattformen behindern diesen Prozess jedoch, indem sie kollektive Mitbestimmung behindern (z. B. indem sie Arbeitnehmer*innen, die an Demonstrationen teilnehmen, eine Verwarnung erteilen) oder indem sie ihre Geschäftsmodelle so ändern, dass bestehende Interessenvertretungen obsolet werden, wie im Fall der Gorillas in Berlin. Nur wenige Plattformen verfügen über funktionierende Gremien, in denen Arbeiter*innen ihre Stimme kollektiv erheben können. Zenjob hat ein Pilotprogramm für ein neues kollektives Vertretungsorgan gestartet, um seinen Arbeiter*innen einen neuen Kanal zu bieten, über den sie ihre Probleme und Anliegen vorbringen können. Lieferando ist derzeit die einzige Plattform in der Stichprobe, die über mehrere Betriebsräte in ganz Deutschland verfügt. Außerdem arbeitet Flink am Aufbau eines europaweiten kollektiven Vertretungsgremiums.

Fairwork Pledge

Im Rahmen des Engagements von Fairwork, Plattformen für ihre Arbeitspraktiken zur Rechenschaft zu ziehen, haben wir den Fairwork Pledge ins Leben gerufen. Diese Erklärung soll andere Organisationen dazu ermutigen, menschenwürdige Arbeitspraktiken in der Plattformökonomie zu unterstützen, die sich an den fünf Grundsätzen für faire Arbeit orientieren.

Organisationen wie Universitäten, Schulen, Unternehmen, Investoren und Wohltätigkeitsorganisationen, die Plattformarbeit in Anspruch nehmen, können durch die Unterstützung von Plattformen, die bessere Arbeitsbedingungen bieten, etwas bewirken. Organisationen haben die Möglichkeit, den Pledge als offizieller Fairwork-Supporter oder als offizieller Fairwork-Partner zu unterzeichnen. 

Fairwork Supporter demonstrieren ihre Unterstützung für fairere Plattformarbeit öffentlich und stellen ihren Mitarbeiter*innen geeignete Ressourcen zur Verfügung stellen, damit sie informierte Entscheidungen bei der Nutzung digitaler Plattformen treffen können. Fairwork-Partner verpflichten sich, die Fairwork Prinzipien für faire Arbeit in die eigenen Unternehmenspraktiken zu integrieren, indem sie sich z.B. verpflichten von Fairwork besser bewertete Plattformen nutzen, wenn die Wahl besteht. 

In Deutschland wurde das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) kürzlich der erste Fairwork-Partner in Deutschland. Auch die Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, das zentrale Nachhaltigkeitsreferat der Universität Duisburg-Essen (UDE), und die Digital Transformation Centers haben den Pledge als Supporter unterzeichnet. Schließen auch Sie sich noch heute dem Fairwork Pledge an und tragen Sie so zur Verwirklichung einer gerechteren Zukunft der Arbeit bei!